ein Rennbericht von Florian Probst
100 Meilen
Als Saisonhöhepunkt habe ich mir für 2022 den KAT 100 mit dicken Buchstaben im Kalender eingetragen - und das schon ein knappes Jahr zuvor. Der Lauf mit rund 174 Kilometern und 10.220 Höhenmetern hat mich schon seit längerem angefixt. In der näheren Umgebung gibt es nämlich zwei wirklich eindrucksvolle Hundert-Meiler, welche bedauerlicherweise fast zeitgleich stattfinden. Zum einen ist es der Chiemgau 100 mit Start in Ruhpolding und zum anderen der KitzAlpineTrail100, dessen Startschuss in Fieberbrunn fällt. Man muss sich also leider für einen der beiden entscheiden, denn zeitlich gesehen liegt nur eine knappe Woche dazwischen.
Als ich mich 2021 das erste Mal der Herausforderung stellte, wusste ich noch nicht so recht, wie die Strecke einzuschätzen war. Die Kitzbühler Alpen kenne ich nur im Winter mit Tourenski und im Sommer mit dem Mountainbike. Auch beim Kaiser Krone Marathon Trail sah ich das Kitzbühler Horn nur von weitem und konnte mir, was Schwierigkeit und Charakter des Rennens angeht, kein genaues Bild machen. Aber egal, denn ein neues unbekanntes Rennen ist immer was besonderes. Hinter jedem Gipfel oder Grat warten unbekannte Trails auf einen und man saugt die Eindrücke entlang der Strecke viel bewusster auf. Gerade nachts kommt so keine Müdigkeit auf, denn man läuft nicht nur ins Dunkle, sondern auch ins Ungewisse. Und das lässt erst gar keine Müdigkeit aufkommen.
Vorab: Letztes Jahr bin ich das Rennen nicht fertig gelaufen. Der Grund war ein ganz banaler, der eigentlich nicht vorkommen sollte, aber eben trotzdem auftrat. Der Start und die erste Hälfte des Rennens 2021 verliefen für mich wie immer. Meine Konzentration lag auf meinem eigenen Tempo, so versuchte ich die Konkurrenten auszublenden und mich nicht auf ein zu hohes Tempo einzulassen. Der Startschuss abends fiel nämlich gleichzeitig für die 100-Meilen-Läufer, die Endurance-Trail- und Staffel-Läufer. Der Endurance-Trail verfolgt dieselbe Strecke und endet nach 95 Kilometern in Kitzbühel, wo sich die 100-Meiler auf den zweiten Streckenabschnitt machen. Also liefen wir gemeinsam durch die Nacht und am nächsten Tag früh morgens gegen halb sieben spuckte uns der Trail in Kitzbühel aus, wo die zweite große Labe-Station auf uns Läufer mit Getränken und Verpflegung wartete.
Mittlerweile ist es leider üblich, dass sich eine zunehmende Zahl an Läufern von einem Versorgungsteam auf der Strecke versorgen lassen. Das heißt, ein Auto fährt für NUR einen Läufer die Verpflegungsposten ab, um seinem Schützling die Schuhbänder zu binden und ihm ein Handtuch zu reichen - meiner Meinung nach sollte dieses “unökonomische” Verhalten von jedem nachhaltig-denkenden Veranstalter unterbunden werden und sofort zur Disqualifikation führen, da es absolut unfair ist und nichts mit Sport in der Natur zu tun hat. Ein riesiger Pickup mit hiesigem Kennzeichen (welcher mir die ganze Nacht schon aufgefallen ist) parkte blöderweise genau aus diesem Grund vor dem Eingang zur Labe-Station in Kitzbühel, was schlichtweg dazu führte, dass ich an dieser vorbeigelaufen bin. Naja, und dann nahm das Drama seinen Lauf, denn der weitere Aufstieg über die “Streif” hinauf verlangte mir einiges ab und auch der Weiterweg zog sich immens. Anfangs hatte ich noch die Hoffnung, dass ich es bis zur nächsten Station schaffen würde, aber mir ging neben Gels und Riegel auch das Wasser aus und so wurde es immer beschwerlicher. Bis zum Abstieg nach Jochberg hielt ich noch durch, aber dann musste ich das Rennen beenden. Thomas Bosnjak, der Veranstalter ist selbst leidenschaftlicher Läufer und organisiert einige Rennen im Nachbarland Österreich, bei denen die Teilnehmer einmalige Strecken und eine perfekte Organisation erwarten dürfen. Auch beim KAT100 ließ sich Thomas das ein oder andere Gimmick für die Läufer einfallen. Und so hatten die Teilnehmer des 100-Meilen-Rennens die Option, in Kitzbühel auf den Endurance-Trail zu verkürzen und in dessen Wertung aufgenommen zu werden. Das führte letzten Endes dazu, dass ich kein DNF (Did Not Finish), sondern den 3. Platz des Endurance-Trails als Trostpflaster erhielt. Das war wirklich eine nette Geste, aber gewurmt hat es mich trotzdem und daher stand mein Hauptrennen für das darauffolgende Jahr bereits bei der Heimfahrt von Fieberbrunn fest!
Ein Jahr war vergangen und da stand ich jetzt - wieder in Fieberbrunn und wieder bei Kaiserwetter! Meine Freude auf das Rennen war noch größer als im Jahr zuvor, denn ich wusste, wie schön die Route durch die Kitzbüheler Alpen ist - zumindest bis Kitzbühel. Also, gleiches Prozedere bis Kitzbühel hieß die Devise. Danach erst sollte die Reise ins Ungewisse folgen. Der Start und der Lauf durch die Nacht waren, wie im Jahr zuvor, ganz was Besonderes. Die Strecke führte zum Wildsee Loder und hinauf zum gleichnamigen Gipfel. Und zwar wirklich bis zum Gipfel! Es folgte ein rasanter Ritt über einen schmalen Grat, begleitet von der untergehenden Sonne. Hier oben stand auch das Team vom ORF und filmte uns Läufer bei unserem Abenteuer. Die Nacht verbrachten wir mit dem Erklimmen der Buchensteiner Wand, welche durch einen Gasthof in Form eines riesigen Gipfelkreuzes, von weitem schon zu erkennen war. Die zweite Hälfte der Nacht war ich dann mit dem Aufstieg zum Kitzbühler Horn beschäftigt. Der Aufstieg ist sehr lang und führt in sehr umständlicher Weise auf den Gipfel. An der Labestation ganz oben an der Bergstation hatte ich schon etwas zu kämpfen und musste meine Energie-Depots erstmal gründlich auffüllen. Bis hierher war das Feld noch ziemlich dicht, denn der mir folgende zweite Läufer holte mich am letzten Gipfelanstieg ein. “Mann, wirkte der frisch”, dachte ich - in mir sah es nämlich zu dem Zeitpunkt ganz anders aus. Aber das ist das Geniale am Ultratrail: der Zustand von gut zu schlecht und andersrum wechselt sich fast stündlich ab. Es folgte der Abstieg nach Kitzbühel. Genau! Nach Kitzbühel, wo das Rennen im Jahr zuvor frühzeitig entschieden wurde.
Dieses Jahr sollte es besser laufen und das tat es auch, denn an der besagten Stelle bog ich zielstrebig zur Versorgungsstation ab. Es folgten die gewohnten Handgriffe wie Flaschen auffüllen, Stirnlampe verpacken, Riegel und Gels einpacken und ein kurzer Blick aufs Höhenprofil. Mit vollem Bauch und etwas schweren Beinen ging es die berühmte Streif in Kitzbühel hinauf. Lange Zeit lief ich mit Dengg, dem Österreicher gemeinsam und wir wechselten ein paar nette Worte. Es ist immer wieder schön, wenn man sich bei all der Plackerei und dem Platzierungs-Gerangel in einem Rennen gegenseitig schätzt und freundliche Worte füreinander findet.
Der Weg bis Jochberg ist ein weiter und ist schon bald nach Ankunft am Starthäuschen der Streif großteils einzusehen. Man erkennt einen unglaublich langen Bergrücken in Form eines Hufeisens mit zahlreichen Auf- und Abstiegen, auf dem man sich die nächsten drei, vier Stunden die Füße platt läuft. Aber auch dieser Streckenabschnitt lag irgendwann hinter mir. Was jetzt folgte, war wirklich eine Überraschung, mit der ich niemals in den Kitzbühler Bergen gerechnet hätte. Die Gegend hier ist ein ideales Ski- und Skitourengebiet, da es wenig felsig wirkt und die Berge mit schönen Abfahrten aufwarten. Aber da gibt es den Teufelssprung, der sich hier als kleine Herausforderung eingeschlichen hat. Die Trailrunner bezeichnen Wege, die gut zu laufen oder zu gehen sind, als rollendes Gelände. Aber gerollt wird hier gar nicht, denn es geht in einem Blockfeld rauf und runter. Des Weiteren hat man den Gipfel fast einmal auf schwer zu findenden Pfaden umrundet, bis man sich endlich auf zum Gipfelkreuz macht. Ich war hier die gesamte Strecke alleine unterwegs und wirklich gefordert, was Wegfindung und Wegbeschaffenheit angeht. Als dieser technische Leckerbissen überwunden war, sollte der weitere Abschnitt im Gegensatz wieder “rollen”. Und zwar zur letzten großen Labestation in Oberaurach. Zu lange wollte ich mich hier aber nicht aufhalten, weil sich die Wolkentürme schon weit in den Himmel auftürmten und auch das Grollen der herannahenden Gewitter zu hören war. Der Übergang hinüber zum Ziel in Fieberbrunn war noch weit und das angekündigte Gewitter erreichte mich zum Glück erst hier am letzten Streckenabschnitt. Jetzt machte sich die Ausrüstung bezahlt, welche man im Rucksack mit sich trug. Hinter dem letzten großen Übergang am Wildsee Loder rüstete ich mich mit Gore-Tex-Jacke, Mütze und Stirnlampe aus und begab mich auf den letzten Abstieg hinab ins Ziel. Dunkelheit, Gewitter, Blitze und Regen machten mir gar nichts mehr aus, denn nach dem letzten Abstieg wartete das Ziel und meine Familie auf mich.
Nach 26 Stunden und 46 Minuten war es dann soweit und ich passierte als Zweiter den Zielbogen in Fieberbrunn. Ein hartes Stück Arbeit in einer einmaligen Landschaft mit so mancher Überraschung lag hinter mir. Gemeinsam mit meiner Frau, meinem Sohn, anderen Läufern und Helfern gab’s dann noch ein, zwei Bierchen. Zu guter Letzt folgte aber der absolute Härtetest: der Rückweg zum Campingplatz. Schiebend und ziehend unterstützten mich meine Frau und mein Sohn auf den letzten drei Kilometern, für die ich ungefähr eine knappe Stunde benötigte. Das war der KAT100!
Sportliche Grüße
Euer Flo