Donnerstag, 23. September 2021

Die Ultratour Monte Rosa

 ein Rennbericht von Florian Probst

Nach Regen folgt Sonnenschein

Ein Ultratrail beginnt nicht erst an der Startlinie, sondern schon ein knappes Jahr zuvor. Die Komplexität eines solchen Unterfangens mit unterschiedlichsten Anforderungen wie langen Anstiegen, technischen Downhills, Nachtlauf, Ernährung und Schlafmangel machen das Training hierfür sehr, sehr abwechslungsreich.

Jeder Lauf, der in dieser Zeit absolviert wird, dient einem gewissen Zweck. Mal sind es Intervalle, die einen schneller machen sollen und mal sind es lange Läufe, die darauf abzielen, den Fettstoffwechsel effizienter zu machen. Bei Wind und Wetter klopft man so eine Einheit nach der anderen ab und versucht den Großteil des Trainings mit dem Arbeitsweg abzugelten. Da kann es schon mal sein, dass man einen hügligen Marathon in den Beinen hat, wenn man den ersten Patienten in der Praxis empfängt. Diese ganze Trainingsmethodik muss stets mit Familie und Arbeit abgestimmt werden, damit der Familienfrieden gewahrt und der Geldbeutel voll bleibt. Wenn wir am Wochenende eine Bergtour gemeinsam als Familie machen oder Skifahren gehen, stehe ich so gegen vier Uhr auf und laufe schon mal zum vereinbarten Wanderparkplatz. Die Strecke von Raisting nach Lenggries oder Oberammergau ist sicher kein Trail-Leckerbissen, aber erfüllt den Zweck, Familie und Training zu kombinieren. Und das muss ich gestehen, sind die schönsten Tage, an denen nichts zurückstecken muss.

In der Vorbereitung auf Ultratrails wie die Ultratour Monte Rosa, plane ich meist drei bis vier Vorbereitungsrennen, um Rennluft zu schnuppern und die Tempohärte und Distanz zu erhöhen. Dieses Jahr war es, neben dem Hochkönigman, der Kitz Alpine Trail über 160 km mit Start in Fieberbrunn. Eine landschaftlich und technisch einzigartige Strecke, auf die sich die Trailläufer von Nah und Fern begeben.

Ich war schon sehr gespannt am Start, was mich da in den Kitzbühler Alpen erwartet. Abends um 18 Uhr fiel der Startschuss und das Feld wurde auf die 160 Kilometer lange und mit über 10000 Höhenmetern gespickte Strecke entlassen. Normalerweise fällt die ganze Anspannung von mir ab, wenn ich mich nach dem Startschuss auf die Reise mache. Für Gewöhnlich laufe ich von Beginn an mein eigenes Rennen und sauge die Eindrücke bei Tag und Nacht in mich auf. Aber dieses mal war es anders, denn ich ließ mich, was das Tempo und die Platzierung angeht, stark von anderen Läufern beeinflussen. Bei einer Laufzeit von 28 Stunden zahlt sich dieser Fehler in der zweiten Hälfte des Rennens böse aus. Es ging über den Wildseeloder, einem hochgelegenen Gebirgssee und zahlreiche Anstiege zum Hausberg von Kitzbühel. Oben am Kitzbühler Horn fühlte ich mich wahnsinnig gehetzt und schon ziemlich angezählt. Die große Versorgungsstation in Kitzbühel sollte mir helfen, etwas besser ins Rennen zu finden und die bis dahin aufgebrauchten Akkus wieder aufzuladen. Aber soweit kam es nicht, denn ein Versorgungsfahrzeug eines anderen Läufers (das ist übrigens bei Rennen wie diesen verboten) stand genau vor dem Zuweg zur Labe-Station, welche ich dringenst herbeisehnte. Und so kam's, dass ich an dieser vorbeilief. Immer weiter und weiter in Richtung "Streif", dem nächsten Anstieg. Als ich diesen schon einige Meter hinauf gelaufen bin, wurde mir mein Fehler bewusst. Telefonisch gab ich dem Veranstalter bescheid und beschloss einfach weiter zu laufen. Bis zur nächsten Versorgungsstation hatte ich sämtliche Gels, Riegel und Getränke aufgebraucht und kam am Zahnfleisch dort an. Ich war komplett am Ende und konnte meine Reserven auch nicht mehr auffüllen. Den Weiterweg über entschloss ich mich aufzuhören, da ich keinen Schritt mehr laufen, sondern nur noch gehen konnte. Das nennt sich DNF und heißt: "did not finish", was für Läufer normalerweise eine Tragödie ist. Für mich war es an diesem Tag eine wahre Erlösung, da ich mich von der ersten Minute an nicht wohl fühlte. Das heißt es also, wenn man nicht sein eigenes Rennen läuft. Etwas abenteuerlich, per Anhalter mit einem gewaltigen Holzrückewagen, trat ich meine Heimreise zum Startort an.

Drei Wochen nach dem Kitz Alp Trail stand die Ultratour Monte Rosa an. Das Highlight für Trailrunner in der Schweiz führt durch den Kanton Wallis, umgeben von namhaften Viertausendern. Die Anreise mit dem Auto war bei 8° Celsius und Nebel etwas abenteuerlich. Daher beschloss ich am Furkapass, die Nacht im Auto zu verbringen, weil Sicht und Wetter nicht sehr einladend waren. Nach einer erholsamen Nacht folgte ein sonniger Morgen mit bester Sicht über den Weiterweg. Das ist doch ein positives Signal für die folgenden Tage. Angekommen in Grächen, dem Startort, folgte die Startnummernausgabe und Materialkontrolle. Dann gab es Nudeln, zubereitet am Gaskocher vor dem Auto. Der Abend vor dem Rennen fiel sehr kurz und spartanisch aus, denn der Wecker sollte um 2 Uhr 45 zum Angriff läuten. Zähneputzen, Sonnencreme auftragen, Kaffee trinken, Rucksack umschnallen und ab die Post zum Start;

Da stand ich nun mit zahllosen anderen Athleten, die es kaum erwarten können, in die Finsternis entlassen zu werden. Um vier Uhr fiel der Startschuss, der das Feld in Bewegung setzte und die lange Reise einläutete. Zu Beginn führt die Strecke über einen schmalen Trail in Richtung Zermatt, das aber noch ca. 55 Kilometer entfernt lag. Hier wartete die erste große Labestation mit eigenem Dropbag. Bis dahin galt es aber den Anstieg zur Europa-Hütte, technische Trails zur Täschalp und die luftige Hängebrücke hoch über Randa zu absolvieren. Die Geschwindigkeit zu Beginn war, wie gewöhnlich, extrem hoch. Ich wollte auf keinen Fall den gleichen Fehler wie drei Wochen zuvor begehen. Daher konzentrierte ich mich, mein eigenes Tempo zu laufen und die technisch schwierigen Passagen unfallfrei zu überstehen. Es fühlte sich zu Beginn äußerst langsam an, aber nach und nach stieg in mir wieder dieses Gefühl der Neugier und der Freude am Laufen auf. Als dann das erste Zwischenziel Zermatt erreicht war, fühlte ich mich überraschend gut und begab mich auf den Weiterweg, der im Schatten des Matterhorns aufwärts führte. Es ging auf gut 2800 Meter, bevor es über einen flowigen Trail wieder hinab nach Zermatt ging. Wieder hieß es, Flaschen und Gels auffüllen, ausreichend trinken und weiter in den nächsten Streckenabschnitt. Nach kürzeren Anstiegen folgte ein zwanzig Kilometer eher flacher Abschnitt nach Sankt Nikolaus. Wie sich im Nachhinein herausstellte, sollte hier das Rennen für viele Läufer zu Ende sein. Ich hatte mit der Hitze etwas zu kämpfen und verbrauchte meine gesamten mitgeführten Getränke bis zum Erreichen der Versorgungsstation. Dass der nun folgende Teil der Strecke wieder steil bergauf führte, wirkte daher eher positiv auf mein Gemüt, weils mir am meisten Spaß macht bergauf zu rackern.

Dabei konnte ich wieder etwas Zeit auf den vor mir laufenden Franzosen gut machen und wir liefen gemeinsam über Törbel weiter nach Visp. Bergab machte ich weiteren Boden gut und der Anstieg nach Visperterminen, dem nächsten großen Versorgungsort, konnte ich noch beim letzten Tageslicht zurücklegen. Der Canadier James lief hier auf mich auf und wir wechselten ein paar Worte bei einer unglaublich guten Minestrone. Es folgte die Nacht und der lange Anstieg zur Weismies-Hütte. Den Zustieg zur Hütte kannte ich noch von einer früheren Hochtour zum Weismies. Wenn der Blick mal übers Tal zur anderen Talseite abschweifte, konnte man die anderen Läufer, welche hinter einem lagen, erkennen. Wie eine Lichterkette markierten sie den bereits absolvierten Weg hoch über Visp. Wir beide mussten aber hoch zur Weismies-Hütte, wo die nächste Versorgungsstation auf uns wartete. Nach einem schier endlosen Anstieg kamen die Lichter der Hütte zum Greifen nah. Oben angekommen spürte man, welche Strapazen hinter einem lagen und das "Wieder-los-laufen" fiel schon etwas schwer. Aber einige Meter weiter waren wir beide wieder im rasanten Abstiegsmodus. Vorbei an Saas Almagel ging es nach Saas Fee, der letzten großen Labestation vor dem Ziel. 21 Kilometer und knapp 1700 Höhenmeter trennten uns von unserem Ziel- und Ausgangsort. Dieser Streckenabschnitt forderte neben einer gehörigen Portion Kraft auch ein hohes Maß an Koordination, denn der Weg schlängelte sich durch Blockfelder, Schuttreissen und teils seilversicherten Passagen. Es kostete viel Energie, nicht an Tempo zu verlieren. Aber im Hinterkopf konnte man sich schon auf die baldige Zielankunft freuen. Die Hannigalp markierte das Ende des technisch schwierigen Abschnitts und den Start des letzten Downhills hinab ins Ziel. Volles Ballett und doch etwas kontrolliert war die Devise.

Und dann war es so weit: das Ziel in Grächen war nach 29 Stunden und 31 Minuten als Drittplatzierter erreicht. Eine unglaubliche Reise mit vielen Hochs und wenigen Tiefs lag hinter mir. Zahllose beeindruckende Bilder, freundliche Helfer und schier unendliche Zufriedenheit machten sich in mir breit.

Für die Unterstützung möchte ich mich beim Team von DENK-OUTDOOR.DE bedanken und wünsche euch viele schöne Momente in den Bergen und beim Laufen!

Mit sportlichen Grüßen,
Euer Flo